Datenschutz beim digitalen Nachlass: Auskunftsersuchen für Verstorbene
24.07.2015
[IITR – 24.7.15] Es mehren sich die Angebote, Angehörige bei der Verwaltung des digitalen Nachlasses zu unterstützen. Hierzu gehört auch das Angebot, im Auftrag der Angehörigen Auskunftsersuchen für Verstorbene bei Unternehmen zu stellen. Der Beitrag untersucht die hierbei geltenden Rahmenbedingungen und stellt die Voraussetzungen für ein rechtmäßiges Auskunftsersuchen dar.
Sachverhalt
Ein Anbieter der digitalen Nachlassverwaltung begehrt – zumeist ohne konkreten Hinweis auf ein früheres Rechtsverhältnis – Auskunft gemäß § 34 BDSG für einen Verstorbenen bei einem Unternehmen. Neben dem Auskunftsersuchen übermittelt die anfragende Stelle ein Formular zum Auskunftsersuchen sowie eine Kopie der Sterbeurkunde und eine Vollmacht einer als Erben angegebenen Person.
Ursprünglicher Ansatz des Auskunftsrechts nach § 34 BDSG
Gemäß § 34 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) muss die verantwortliche Stelle dem Betroffenen auf Verlangen Auskunft erteilen über
- die zu seiner Person gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen,
- den Empfänger, an die Daten weitergegeben werden, und
- den Zweck der Speicherung.
§ 34 Abs. 8 S. 1 f. BDSG regelt zu den Kosten: „Die Auskunft ist unentgeltlich. Werden die personenbezogenen Daten geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung gespeichert, kann der Betroffene einmal je Kalenderjahr eine unentgeltliche Auskunft in Textform verlangen.“
Für ein Auskunftsverlangen von einem Betroffenen ist weder ein Anlass noch ein berechtigtes oder gar rechtliches Interesse notwendig. Zumindest muss dieses nicht dargelegt oder vorgelegt werden. Ebenso muss das durch den Betroffenen gewünschte Informationsinteresse nicht begründet werden.
Das in § 34 BDSG geregelte Auskunftsverlangen steht allen Betroffenen zu und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Wohnsitz.
Grundsatz: Beschränkung des Auskunftsrechts auf lebende Personen
Im Grundsatz können nur lebende Personen als Betroffene ihr Auskunftsrecht nach § 34 BDSG in Anspruch nehmen.
Die verantwortliche Stelle muss einem Betroffenen gemäß § 34 Abs. 1 BDSG Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten geben. Eine Auskunft über etwaige Vertragsinhalte, die ein Betroffener mit der verantwortlichen Stelle eingegangen ist, ist von dem Auskunftsanspruch gemäß § 34 Abs. 1 BDSG regelmäßig nicht abgedeckt.
Ein Erbe kann grundsätzlich kein Auskunftsverlangen nach § 34 BDSG für einen Verstorbenen stellen. Dies liegt daran, dass das Auskunftsverlangen als Ausfluss des informationellen Selbstbestimmungsrechts nicht vererblich gestellt werden kann.
Ausnahme: Auskunft zwingend für die Geltendmachung etwaiger rechtliche Ansprüche
Als Ausnahme vom beschriebenen Grundsatz kennt die Literatur den Fall, dass gegebenenfalls ein Erbe einen Auskunftsanspruch dann geltend machen kann, wenn die Auskunft zwingend für die Geltendmachung etwaiger rechtliche Ansprüche ist (vgl. Simitis, BDSG-Kommentar, § 34 BDSG, Rz. 14).
Als rechtliche Ansprüche eines Erben sind zum Beispiel Forderungen eines Verstorbenen anzusehen, die in Folge von zu Lebzeiten geschlossenen Kaufverträgen und sonstigen Vertragsabschlüssen bestehen.
Typische Handhabe der Praxis bislang
Digitale Nachlassdienste stellen regelmäßig auf Basis der von den Hinterbliebenen gegenüber dem Bestatter ausgesprochenen Mutmaßungen über die digitalen Aktivitäten des Verstorbenen anlasslose Auskunftsersuchen bei verschiedenen Anbietern von Online-Diensten gemäß § 34 BDSG im Namen und im Auftrag der Hinterbliebenen. Dies führt bei einigen Anbietern von Online-Diensten zu einer erheblichen Häufung von Anfragen, obwohl keine Daten der Betroffenen gespeichert wurden.
Zusammenfassung: Anforderungen für rechtskonformen Auskunftsanspruch
Nach unserer Rechtsauffassung ist ein Auskunftsanspruch im Ausnahmefall dann zulässig, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
- Auskunft ist zwingend für die Geltendmachung etwaiger rechtlicher Ansprüche.
- Konkreter Nachweis, dass der Verstorbene in Kontakt mit der datenverarbeitenden Stelle stand.
- Auskunftssuchender muss als Erbberechtigter ausgewiesen sein (eine bloß behauptete Stellung als Erbe genügt nicht).
Fazit
Es ist aus unserer datenschutzrechtlichen Sicht nicht zulässig, im Todesfall beliebige Unternehmen anzuschreiben und Auskunft zu Daten des Verstorbenen nach § 34 BDSG zu verlangen. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht (und das daraus abgeleitete Auskunftsrecht) kommt im Grundsatz nur lebenden Personen zu. Soll dieser Grundsatz durchbrochen werden, da ein Auskunft ausnahmsweise für die Geltendmachung etwaiger rechtlicher Ansprüche zwingend erforderlich ist, muss ein konkreter Nachweis vorliegen, dass das Unternehmen und der Verstorbene in Kontakt standen und die Erbberechtigung der Auskunft begehrenden Person vorliegen.
Kontakt:
Ralf Zlamal, externer DatenschutzbeauftragterTelefon: 089-1891 7360
E-Mail-Kontaktformular
E-Mail: email@iitr.de
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Markus Plesser
Sehr geehrter Herr Zlamal
der Blog stellt die Rechtslage schief und im Ergebnis unzutreffend dar:
• Anders als Sie schreiben, verlangen „Anbieter der digitalen Nachlassverwaltung“ nicht Auskünfte „für einen Verstorbenen“. Sie verlangen vielmehr Auskunft für und über Daten zu einer lebenden Person, nämlich eines Erben.
• Ein Auskunftsverlangen einer lebenden Person – des Erben – ist daher auch keine „Ausnahme vom beschriebenen Grundsatz“, das der Auskunftsanspruch nur von bzw. für lebende Personen geltend gemacht werden kann.
• Es geht bei solchen Auskunftsanfragen nicht darum, „Forderungen eines Verstorbenen“ zu ermitteln, sondern darum, Verbindlichkeiten einer lebenden Person, des Erben, zu ermitteln. Mit dem Tod eines Erblassers gehen dessen Verpflichtungen und Ansprüche aus Verträgen ohne weiteres und sofort auf den Erben über (sog. Universalsukzession). Konkret heißt das: X hat einen Laufzeitvertrag über ein Online-Abonnement abgeschlossen und zahlt dafür jeden Monat 10 Euro. Nach dem Tod von X muss dessen Erbe Y diese 10 Euro pro Monat zahlen. Y ist sofort mit dem Tod Abonnent. Daher ersetzt der Anbieter des Abonnements die Daten des Verstorbenen durch die Daten des Erben. Er speichert also die Daten des Erben, mithin einer lebenden Person. Um diese personenbezogenen Daten geht es.
• Natürlich hat der Erbe ein Interesse daran, zu erfahren, ob und wo Verträge laufen, aus denen sich für ihn (Nutzungs-)Rechte oder (Zahlungs-)Pflichten ergeben. Deshalb beauftragt er Anbieter digitaler Nachlassdienste, diese Verträge zu ermitteln.
• Sie meinen, ein datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch bestehe nur, wenn der Betroffene sich als „Erbberechtigter ausweisen“ könne. Das ist rechtlich nicht richtig. Auch hier gilt: Der Erbe tritt kraft Gesetzes mit dem Tod in alle Verpflichtungen und Rechte des Erblassers ein. Dies geschieht automatisch (Universalsukzession). Das gilt unabhängig davon, ob er sich als „Erbberechtigter ausweist oder ausweisen kann“. Der Erbe haftet eben nicht erst ab dem Moment, an dem er ein offizielles Dokument hat und vorlegen kann, das seine Erbenstellung bestätigt. Seine Rechte und Pflichten bestehen bereits vorher.
• Sie schreiben, Auskunft könne nur verlangen, wer einen „konkreten Nachweis“ eines „Kontaktes“ mit einem Unternehmen erbringen könne. Wenn das richtig wäre, ginge § 34 BDSG, der den Auskunftsanspruch regelt, komplett ins Leere. Denn wer weiß, dass ein Kontakt besteht und deshalb Daten vorhanden sind, braucht dies nicht mehr zu erfragen. § 34 BDSG will gerade denen einen Anspruch geben, die diesen „konkreten Nachweis“ nicht führen können.
• Letztlich: Ihr Lösungsvorschlag ist grob verbraucherfeindlich. Er stellt Verbraucher, die Erben sind, komplett rechtlos. Sie können nicht herausfinden, ob und welche Verpflichtungen sie haben. Sie müssen zahlen und haben mangels Informationen nicht die Möglichkeit, die sich aus ererbten Verpflichtungen für die Zukunft ergebenden Verpflichtungen zu vermeiden oder bezahlte Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das ist weder eine interessengerechte Lösung noch entspricht sie der Rechtslage.
Im Ergebnis scheint Ihre Bewertung daher unbefriedigend und auch unzutreffend.
Mit freundlichen Grüßen, Dr. Markus Plesser
Sehr geehrter Herr Dr. Plesser,
haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar zu dem obigen Beitrag.
Sie schreiben: „Sie verlangen vielmehr Auskunft für und über Daten zu einer lebenden Person, nämlich eines Erben.“
Die datenverarbeitende Stelle kann in dem beschriebenen Szenario keine personenbezogenen Daten zum Erben gespeichert haben, sondern nur zum Verstorbenen selbst. Daran ändert auch der Tod des Erblassers nichts.
Das Auskunftsrecht (basierend auf dem informationellen Selbstbestimmungsrecht, welches seinerseits auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgeht) kommt im Grundsatz wie dargestellt nur lebenden Personen zu. Dies kann daher auch nur in den genannten Ausnahmefällen durchbrochen werden.
Dies ist auch nicht „verbraucherfeindlich“. Das Erbrecht kennt bewährte Möglichkeiten, dem Erben die erforderlichen Informationen zu Verpflichtungen und Rechten durch seine Erbstellung zukommen zu lassen. Ein Rückgriff auf das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht des Verstorbenen ist hierfür nicht erforderlich.
Insoweit stellt der Beitrag die Rechtslage weder schief noch im Ergebnis unzutreffend dar.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Kraska