Abhören in Deutschland (aka Abhör-Kompetenzzentrum)
20.05.2008
In den letzten Tagen gab es vermehrt Berichte über ein geplantes “Abhör-Zentrum”, selbst Blätter wie der “Express” titelten das Thema. Nach der ersten Aufregung (die schnell wieder verpuffte) habe ich die verschiedenen Meldungen gesammelt und zusammengestellt damit es einen Überblick gibt.
Berichtet hatte anfangs der Spiegel über eine Zusammenlegung der “TKÜ-Infrastruktur”, da die verschiedenen Behörden über unterschiedliche Einrichtungen verfügen, die man bündeln könne:
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL in Köln eine Abhörzentrale für Polizei und Geheimdienste nach amerikanischem und britischem Vorbild aufbauen. Die neue Technik solle beim Bundesverwaltungsamt installiert werden, berichtet das Magazin.
Im Innenministerium gebe es Überlegungen für ein gemeinsames Rechenzentrum am Rhein, um “die zersplitterte TKÜ-Landschaft der Sicherheitsbehörden zu harmonisieren”, wie aus einem internen Papier hervorgehe.
Die zeitlichen Pläne klingen beim Spiegel zuerst recht einfach:
In einem ersten Schritt werde eine gut 40 Millionen Euro teure Abhöranlage, die vom BfV bestellt worden sei, großteils in einem “Service-Center” in Köln verwaltet. Parallel wolle Hanning beim BKA ein “Competence-Center” aufbauen, in dem Experten von Polizei und Verfassungsschutz ihr Wissen kombinieren. Später sollten Service- und Kompetenzzentrum zusammengeführt werden, schreibt das Magazin.
Welche Zersplitterung in Deutschland vorliegt, wird bei Heise deutlich, man beachte dabei die Zahl der vorhandenen “Horchposten”:
Bislang betreiben in Deutschland Sicherheitsbehörden wie das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Bundespolizei oder der Bundesnachrichtendienst TK-Überwachung jeweils in Eigenregie mit gesonderter Lauschausrüstung und speziellen Befugnissen. Dazu kommen entsprechende Einrichtungen der Bundesländer.
Insgesamt sollen bundesweit mehr als 75 Horchposten aktiv sein.
Bis hierhin sollte man sich vor allem zwei Fragen stellen:
-
Wollen wir als Bürger wirklich, dass es eine zentrale Abhörvorrichtung gibt, auf die z.B. das LKA NW ebenso Zugriff hat wie der BND? Oder anders: Gibt es ein gefühl von Sicherheit oder eher Bacuhschmerzen wenn man sich vorstellt, dass das LKA NW eine Überwachungsanlage nutzt, die zugleich einem BND ausreicht?
-
Ist eine Zersplitterung von Abhörinstituten wirklich so negativ? Wenn wir schon auf politischer Ebene den Föderalismus als notwendige Entwicklung betrachten und das im Grundgesetz verankern, ist dieses verteilte System bei so etwas sensiblen wie Überachungsmaßnahmen nicht gerade angebracht?
Die SPD stellt sich diese Fragen leider nicht, wie man auf Heise nachlesen darf:
Die SPD hat offenbar keine Bedenken, die Pläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Aufbau einer Bundesabhörzentrale mitzutragen. Gegenüber der tageszeitung erklärte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD, er halte ein gemeinsames Abhör-Kompetenzzentrum für dringend erforderlich, weil Polizei wie Geheimdienste “technisch endlich auf die Höhe der Zeit kommen” müssten.[…]
Nach Meinung des SPD-Politikers ist es ausgemachte Sache, dass die rasante Entwicklung in der Kommunikationstechnologie dazu führt, dass sich eine Lücke zwischen den Strafverfolgern und Geheimdiensten auf der einen Seite, Terroristen und organisierter Kriminalität auf der anderen Seite auftut. Diese technologische Lücke müsse mit einem Abhör-Kompetenzzentrum schnellstens geschlossen werden. “Mir geht das alles sogar ein bisschen zu langsam,” betonte Wiefelspütz.
Beeindruckend ist die naiv-blauäugige Äusserung von Wiefelspütz:
“Beim Abhören kommt es darauf an, nach welchen rechtlichen Regeln es stattfindet. Das ist in Deutschland auf einem sehr, sehr hohen Niveau rechtsstaatlich gesichert.”
Man könnte glauben, die vor kurzem bekannt gewordene BND-Affäre, das unerlaubte Belauschen von Reportern, sei nie passiert. (Dazu nur die Meldung aus 2006, erinnert sei zudem an die bekannt gewordenen Vorgänge anfang diesen Jahres und die “Cicero-Affäre”). Laut Golem hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bereits reagiert:
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar zeigte dagegen Missfallen. “Wir haben gegenüber dem Bundesinnenministerium bereits zu der beabsichtigen Maßnahme Stellung bezogen und unsere Bedenken zum Ausdruck gebracht”, sagte Schaars Sprecher Dietmar Müller der Zeitung. “Wir sehen das sehr, sehr kritisch, weil die unterschiedlichen Aufgaben von Polizei und Geheimdiensten hier gebündelt würden und die Gefahr besteht, dass Grenzen überschritten werden und das Trennungsgebot verletzt wird.” Allein Haushaltsgesichtspunkte könnten dafür auf keinen Fall ausschlaggebend sein.
Abschliessend dazu eine andere, passende Meldung von Heise, derzufolge die Online-Überwachung geradezu explodiert ist:
Staatliche Ermittler haben im vergangenen Jahr in 141 Fällen Voice-over-IP-Anschlüsse abgehört. Das seien dreimal so viele wie noch im Jahr 2006, geht aus einer Mitteilung des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien Bitkom hervor, der sich auf jüngste Zahlen der Bundesnetzagentur bezieht. Bei Zugriffen auf E-Mail-Konten und Internetzugänge habe es eine Steigerungsrate von 45 und 57 Prozent gegeben.
Anmerkung: Ich bekomme inzwischen zunehmend Mails, zwar zu verschiedenen Themen, aber immer mit der gleichen Grundaussage: “warum wusste ich das nicht?”. Erschreckend ist, dass ich mehrmals in der Woche Mails von Menschen bekomme, die einen Pass beantragt haben und überrascht waren, ihren Fingerabdruck hinterlassen zu müssen. Ich kann es nur nochmals betonen: Jeder Bürger muss sich, gerade heute, selber informieren. Ich versuche weiterhin hier auf der Seite, zumindest wöchentlich, einen News-Überblick zu geben, jedenfalls Heise.de berichtet auch über das Thema sehr ausführlich, aber dort verschwinden die Meldungen leider zu schnell.