Datenschutz: Die Europäische Ermittlungsanordnung
22.05.2013
In Brüssel steht eine europaweit vollstreckbare Ermittlungsanordnung in Strafsachen zur Diskussion. Sie soll die Rechtshilfe bei Ermittlungsmaßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten vereinheitlichen und effizienter gestalten. Kritiker befürchten den Untergang von Grundrechtsgarantien und ein Absenken der strafprozessualen Mindeststandards in Europa. Die Initiative berührt nicht nur den Datenschutz, sie kommt zu einer Zeit, in welcher intensiv über die Reform des europäischen Datenschutzes diskutiert wird.
Einleitung
Die Reform des europäischen Datenschutzes geht diesen Sommer in seine entscheidende gesetzgeberische Phase. Neben dem viel diskutierten Entwurf zur sog. Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) steht auch ein Richtlinienentwurf zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr auf der Agenda. Beide Entwürfe erfuhren im Europäischen Parlament bereits umfangreiche Änderungsvorschläge und werden intensiv diskutiert (Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments für die DS-GVO, für den Richtlinienentwurf).
Wieder aufgenommen wurden zudem Verhandlungen eines Richtlinienvorschlags für eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA). Er geht auf eine Initiative für eine Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen aus dem Frühjahr 2010 von sieben EU-Mitgliedstaaten zurück. Die Bundesrepublik gehörte nicht zu ihnen.
Die EEA basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von polizeilichen und justiziellen Maßnahmen: Die angewiesene Behörde in einem anderen Mitgliedstaat hat die Ermittlungsmaßnahme automatisch ohne weitere Prüfung umzusetzen. Dieser Ansatz ist nicht neu und existiert in Teilen bereits in der europäischen polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit.
Aktueller Stand der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten
Die justizielle Kooperation wurde in Europa bislang unterschiedlich weit vorangetrieben. Sie reicht vom traditionellen Instrument der Zusammenarbeit, über den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen (Art. 82 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union), bis hin zu einem einheitlichen Regelungsrahmen über die Vollstreckung von Entscheidungen zur Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln (Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003). Der Regelungsrahmen ist jedoch auf die Phase der Sicherstellung beschränkt, so dass der ersuchende Staat hinsichtlich der Übergabe etwaiger Beweismittel ein von der Sicherstellung getrenntes Rechtshilfeverfahren betreiben muss. Dieser Umstand kann die Ermittlungen verkomplizieren und verlangsamen.
Der bereits erwähnte der EEA zugrundeliegende Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung findet sich seit 2002 in dem sog. Europäischen Haftbefehl, der die automatische Auslieferung eines Beschuldigten schwerer Straftaten an ein anderen EU-Mitgliedstaat regelt (Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juli 2002). Bereits erhobene Sachen, Schriftstücke und Daten können ebenfalls ohne weitere Prüfung zur Verwendung in Strafsachen grenzüberschreitend übergeben werden (Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18. Dezember 2008).
Es wird deutlich, dass für die grenzüberschreitende Erhebung von Beweismitteln kein einheitliches Regelungswerk existiert. Insoweit sind die Mitgliedstaaten auf das allgemeine Institut der Rechtshilfe angewiesen. Diese „Lücke“ hatte der Europäische Rat früher bereits erkannt und in dessen Stockholmer Programm von 2009 als einen Umstand angesehen, der zulasten der Effizienz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Europa ginge (Stockholmer Programm vom 11. Dezember 2009 (S. 12)). Es wurde ein neuer Ansatz gefordert, der auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht, aber auch der Flexibilität des traditionellen Systems der Rechtshilfe Rechnung trägt. Die Initiatoren der EEA beziehen sich ausdrücklich auf das Stockholmer Programm.
Begriff und Anwendungsbereich der Europäischen Ermittlungsanordnung
Die EEA wird definiert als eine gerichtliche Entscheidung, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats (Anordnungsstaat) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat (Vollstreckungsstaat) zur Beweiserhebung erlassen wird (Art. 1 Nr. 1 RL-Entw-EEA).
Die EEA hat einen weiten Anwendungsbereich und gilt für fast alle Ermittlungsmaßnahmen (Art. 3 Nr. 1 RL-Entw-EEA). Ausnahmen bestehen für die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen sowie für bestimmte Formen der Überwachung der Telekommunikation. Sie gilt für alle Verfahren, in denen staatliche Stellen nach ihrem jeweiligen nationalen Recht der Zuwiderhandlung gegen Rechtsvorschriften aktiv werden. Es werden demnach nicht nur Verfahren zur Ermittlung von Straftaten, sondern z.B. auch bei der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten von der EEA erfasst.
Weite Begriffsbestimmung der Anordnungsbehörde
Art. 2 a) RL-Entw-EEA bestimmt, welche staatlichen Stellen als sog. Anordnungsbehörden zum Erlass einer EEA befugt sein sollen. Darunter fallen zunächst Gerichte, Richter, Ermittlungsrichter und Staatsanwälte, aber auch jede andere Justizbehörde, die als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht in dem betreffenden Fall für die Anordnung von Beweismitteln zuständig ist.
Beschränktes Prüf- und Zurückweisungsrecht der Vollstreckungsbehörde (Prinzip der gegenseitigen Anerkennung)
Die Vollstreckungsbehörde besitzt wenig Prüfungskompetenz. Zwar soll die EEA in einer Form übermittelt werden, die es der Vollstreckungsbehörde erlaubt, die Echtheit der EEA zu überprüfen. Dies bezieht sich aber nur auf die formelle Richtigkeit der ausgefüllten Formblätter, die dem Richtlinien-Entwurf als Anhang beigefügt sind. Die inhaltliche Richtigkeit wird von der Anordnungsbehörde bestätigt (Art. 5 Abs. 1 RL-Entw-EEA), wirksam überprüfen kann dies die Vollstreckungsbehörde aber nicht.
Art. 10 RL-Entw-EEA listet die sog. Versagungsgründe der Vollstreckungsbehörde auf, also Gründe bei deren Vorliegen sie die Vollstreckung der EEA verweigern darf. Dies ist z.B. der Fall, wenn nach dem Recht des Vollstreckungsstaates Immunitäten bestehen oder wesentliche nationale Sicherheitsinteressen betroffen sind. Beachtlich ist, dass die Vollstreckung zwar abgelehnt werden kann, wenn die Maßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zulässig wäre. Dies gilt allerdings nur für Verfahren, in denen Verwaltungs- oder Justizbehörden die Zuwiderhandlung von Rechtsvorschriften ahnden. Strafverfahren sind hiervon nicht betroffen.
Die EEA kann gegen geltendes Recht verstoßen
Ein weiterer aus rechtsstaatlicher Sich nicht unproblematischer Punkt ist, dass nach Art. 8 Abs. 2 RL-Entw-EEA die Vollstreckungsbehörde nicht zum Vollzug verpflichtet ist, wenn die angeordnete Maßnahme im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats steht. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass (von dieser Grenze abgesehen) es unschädlich sein soll, wenn die durch die EEA beantragte Ermittlungsmaßnahme gegen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaates verstößt.
Bedeutung für den Datenschutz nach dem BDSG
Die datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Sphäre der Betroffenen kann von der EEA stark betroffen werden. Wie schon der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zur EEA anmerkte, dürften auch DNA-Daten, Fingerabdrücke, Informationen über Vermögensverhältnissen und Daten aus der Wohnraumüberwachung (also aus dem höchstpersönlichen Umfeld des Betroffenen) ausgetauscht werden. Gerade solche zum Teil sog. besondere Arten personenbezogener Daten nach § 3 Abs. 9 BDSG (vgl. auch Art. 10 der Richtlinie 95/46/EG) stehen auch bei der Strafverfolgung unter einem besonderen Schutz. So dürfen sie nur dann übermittelt oder genutzt werden, wenn dies zur Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich ist.
Kritik
Der EEA mangelt es nicht an Kritik. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder gab zu bedenken, dass ein Mitgliedstaat Daten erheben und diese übermittelten könnte, obwohl die Erhebung nach eigenem Recht nicht zulässig wäre. Die EEA könnte zu einer Absenkung der Schutzstandards bei strafprozessualen Maßnahmen führen. Die Fraktion der Grünen im Europaparlament übte mehrfach Kritik: Sie hält den aktuellen Vorschlag für unverhältnismäßig, wenn „quasi blind“ ohne jede Prüfung Ermittlungsmaßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführt würden. Nationale Gerichte sollten zudem im Einzelfall von dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung abweichen dürfen, soweit Grundrechte, Verfahrensgrundsätze oder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt sind. Weitreichende Ermittlungsmaßnahmen wie die Telefonüberwachung sollten komplett vom Anwendungsbereich der Ermittlungsanordnung ausgenommen werden. Insgesamt müsse die gegenseitige Anerkennung mit europaweit verbindlichen hohen Standards einhergehen. Aus der FDP kam vergleichbare Kritik. Hinsichtlich der weiten Begriffsbestimmung der Anordnungsbehörde forderte der Deutsche Richterbund, dass auch in den „anderen“ Justizbehörden jedenfalls ein Richter bei Grundrechtseingriffen und ein Staatsanwalt bei sonstigen Ermittlungsmaßnahmen die Anordnung zu treffen habe. Ähnlich äußerte sich die Bundesrechtsanwaltskammer und einige Vertreter im Europarat, so dass zurzeit an einer Kompromisslösung gesucht wird (Ratsdok. 16868/10 (S.5 f.)).
Deutliche Worte fand auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, der in einer Stellungnahme verlautbaren ließ, dass der in dem Richtlinienentwurf vorgesehene Verzicht einer beiderseitigen Prüfung der Strafbarkeit nicht akzeptabel sei (BT-Drs 17/3243, S. 6).
Fazit
Die EEA bedingt konkrete ausreichende Rechtsschutzgarantien der Betroffenen. Dies gilt für den Datenschutz wie auch alle anderen Rechte und Freiheiten. Zwar bestehen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtscharta einheitliche Konventionen zum Schutze der Menschen, dass aber innerhalb der EU noch Unterschiede bestehen, wird schon durch die vielen strafprozessualen Harmonisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene (Auflistung durch die Bundesrechtsanwaltskammer) deutlich. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung geht konzeptionell von einem gewissen Harmonisierungsgrad aus, schafft einen solchen aber nicht. Dass ein Mitgliedstaat eine Ermittlungsanordnung ohne eine angemessene Prüfung anerkennt, führt nicht dazu, dass einheitliche Standards geschaffenen werden. Es ist ein Instrument zur Effizienzsteigerung und nicht zur Rechtsharmonisierung, welche aber gerade noch fehlt. Der Europarat forderte im Stockholmer Programm nicht nur, die Lücken im bisherigen System auf Grundlage der gegenseitigen Anerkennung zu schließen, sondern auch die Flexibilität der traditionellen Rechtshilfe beizubehalten. Die beschränkte Prüfungs- und Zurückweisungskompetenz der Vollstreckungsbehörde lässt dazu diese Flexibilität vermissen. Ohne europaweit ausreichend gewährleistete Mindeststandards, ist dies in einem so sensiblen Bereich wie der Strafverfolgung sehr problematisch.
Davon abgesehen, muss aus rein datenschutzrechtlicher Sicht sichergestellt sein, dass die teilweise sensiblen Daten der Betroffenen technisch und organisatorisch sicher genutzt werden. Auch hier können nicht einheitliche Standards europaweit vorausgesetzt werden, soll doch die momentan diskutierte DS-GVO die bislang unzureichend erreichte Rechtsangleichung im Datenschutz nun erst sicherstellen.
Angesichts der weitreichenden Kritik zeichnen sich harte Verhandlungen über die EEA ab.
Autoren:
Rechtsanwalt Dr. Sebastian Kraska, externer Datenschutzbeauftragter
Rechtsassessor Michael Stolze, LL.M. LL.M.Telefon: 089-1891 7360
E-Mail-Kontaktformular
E-Mail: email@iitr.de
Information bei neuen Entwicklungen im Datenschutz
Tragen Sie sich einfach in unseren Newsletter ein und wir informieren Sie über aktuelle Entwicklungen im Datenschutzrecht.