Rückgewinnungsschreiben an frühere Kunden: Zulässigkeit der Verwendung von während der Vertragslaufzeit gespeicherten Daten
11.07.2011
Das Verbot des § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (“BDSG”), personenbezogene Daten ohne Einwilligung des Betroffenen oder ohne Vorliegen einer besonderen Erlaubnisnorm zu nutzen, schützt nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern hat als „eine das Marktverhalten regelnde Bestimmung“ auch wettbewerbsrechtliche Bedeutung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (“UWG“). Das Oberlandesgericht Köln entschied mit Urteil vom 19.11.2010, dass das personalisierte Bewerben früherer Kunden im Wege eines Rückgewinnungsschreibens nicht über § 28 BDSG gerechtfertigt und im konkreten Fall damit wettbewerbsrechtlich unzulässig ist. Das Gericht bekräftigte hierbei seine kritisierte Auslegung des § 28 a.F. BDSG in dem vorherigen einstweiligen Verfügungsverfahren und trat der Annahme entgegen, „nun sei erlaubt, was nach bisherigen Recht verboten war“.
Einleitung
Kunden der Netzwirtschaft, also z.B. der Strom- und Gasversorger oder auch der Telekommunikations- und Kabelanbieter, werden laufend über neue Tarife oder spezielle Angebote von ihren Versorgern bzw. Anbietern informiert.
Hierbei werden personenbezogene Daten (Name, Adresse, Status als Kunde) verarbeitet. Hat der Kunde nicht schon im Rahmen des Vertragsabschlusses ausdrücklich hierzu eingewilligt, bleibt den Unternehmen insbesondere die „geschäftsmäßige“ Datenverarbeitung nach § 28 BDSG als datenschutzrechtliche Rechtfertigung. Die Frage der Zulässigkeit der Datenverarbeitung spitzt sich zu, wenn ein Unternehmen seine ehemaligen Kunden ausdrücklich als aktuelle Kunden der Konkurrenz anschreibt und dabei Daten verwendet, die während des nicht mehr bestehenden Vertragsverhältnisses gespeichert wurden.
Das OLG Köln hatte jeweils 2009 im einstweiligen Verfügungsverfahren und 2010 im Hauptverfahren einen solchen Sachverhalt zu entscheiden. Die Urteile sind dabei in mehrfacher Hinsicht interessant. Zunächst einmal wurde, soweit ersichtlich, das erste Mal über die Einbeziehung einer datenschutzrechtlichen Zulässigkeitsproblematik in der Frage der Lauterkeit von Marktverhalten nach dem UWG entschieden. Das Gericht musste sich zudem mit der Auslegung und Systematik des komplexen § 28 BDSG vor und nach der Novellierung von 2009 auseinander setzen.
Der Sachverhalt
Bei den Parteien handelt es sich um konkurrierende Stromversorger. Gegenstand der Auseinandersetzung war ein sog. Kundenrückgewinnungsschreiben der Beklagten an ehemalige Kunden, die zur Konkurrenz gewechselt waren, und nun gezielt zum Zwecke der Kundenrückgewinnung angeschrieben wurden. Die Adressaten wurden ca. 14 Monate nach ihrem Anbieterwechsel ausdrücklich als aktuelle Kunden der Klägerinnen und als ehemalige Kunden der Beklagten angeschrieben.
Diese Schreiben lauteten auszugsweise wie folgt:
„Sehr geehrte Frau F, vor einiger Zeit sind Sie als unser Kunde [des Unternehmens XY] zum Stromanbieter X gewechselt. Diese Entscheidung haben wir sehr bedauert. Da sich in den vergangenen Wochen jedoch viele unserer ehemaligen Kunden mit Fragen zum Anbieter X an uns gewandt haben, möchten wir Sie heute kurz über die Strompreisentwicklung von X und eine mögliche Rückkehr zu XY informieren.
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Sind auch Sie betroffen?
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Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Köln
§ 4 Abs. 1 BDSG eine das „Marktverhalten regelnde Bestimmung“ im Sinne des UWG ?
Der für das Kartell- und Urheberrecht sowie den Gewerblichen Rechtsschutz zuständige 6. Senat des OLG Köln musste im Rahmen des wettbewerbsrechtlichen Verfahrens zunächst feststellen, dass der das datenschutzrechtliche Verbot mit Erlaubnisvorbehalt normierende § 4 Abs. 1 BDSG überhaupt eine das „Marktverhalten regelnde Bestimmung“ im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG ist.
Dies ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich; schützt das UWG doch den lauteren Wettbewerb zwischen Marktteilenehmern und das BDSG das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Das Gericht stellte fest, dass § 4 Abs.1 BDSG zwar überwiegend nicht darauf abziele, Marktverhalten zu regeln. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt sei jedoch insoweit eine das „Marktverhalten regelnde Bestimmung“, als sich ein Markteilnehmer auf eine datenschutzrechtliche Erlaubnis beruft, um Werbung für sich zu machen. Denn, wie schon der Bundesgerichtshof (Urteil v. 12.07.2007, Az. I ZR 18/04) entschieden habe, auch eine dem Schutz von Rechten oder Rechtsgütern dienende Vorschrift sei dann eine Marktverhaltensvorschrift, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme berührt werde.
Der 6. Senat sah diese Konstellation hier gegeben: Die Beklagte schrieb ehemalige Kunden an, wobei sie geschützte Daten nutzte, die ihr durch die früheren Vertragsbeziehungen bekannt waren. Die Betroffen agierten hierbei als Marktteilnehmer. Da die Zulässigkeit der Nutzung dieser Daten sich nach dem BDSG richte, regele es die Zulässigkeit des fraglichen Marktverhaltens insgesamt.
Die Zulässigkeit der Rückgewinnungsschreiben nach dem BDSG
Die Beklagte nutze von den betroffenen Adressaten ihrer Schreiben deren Namen und Adressen, sowie die Information „ehemaliger eigener Kunde“ und „aktueller Kunde der Klägerinnen“. Sie nutzte demnach personenbezogene Daten und tat dies jedenfalls ohne Einwilligung der Betroffenen und nicht zum Zwecke eines bestehenden Vertragsverhältnisses. Eine Rechtfertigung zu dieser Datennutzung war daher weder über § 4 Abs. 1 3. Alt BDSG noch über § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG gegeben.
Die unmittelbare Anwendung von § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG scheiterte bereits daran, dass hiernach eine Datennutzung nur zu dem Zweck erfolgen darf, der einst bei der Erhebung der Daten konkret festgelegt worden war. Die Beklagte erhob die Daten der Betroffenen seinerzeit jedoch nicht zum Zweck, sie später im Falle von Preiserhöhungen der Konkurrenz für individualisierte Rückgewinnungsschreiben zu verwenden.
Erlaubnis nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2a BDSG ?
Einzig in Betracht kam die mittelbare Anwendung des § 28 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 BDSG über § 28 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2a BDSG (§ 28 Abs. 2 a.F. BDSG), der die Datennutzung zu sonstigen Zwecken unter den zusätzlichen Voraussetzungen rechtfertigt, dass die Nutzung der Daten zur Wahrung „berechtigter Interessen“ erforderlich war.
Das Tatbestandsmerkmal der „berechtigten Interessen“
Das Merkmal der berechtigten Interessen wird vom BDSG nicht definiert. Das OLG stellte fest, dass das Gesetz einen Kompromiss der widerstreitenden Interessen, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Informationsbedarfs Dritter, fordere. Dabei dürfe dieser Kompromiss nicht dazu führen, § 28 Abs. 2 BDSG zu einem Auffangtatbestand von Absatz 1 werden zu lassen.
Es sei daher bereits fraglich, ob überhaupt Daten aus einem Vertragsverhältnis über die Rechtfertigung der „berechtigten Interessen“ genutzt werden dürfen. Darauf komme es aber im vorliegenden Fall gar nicht an, so der Senat, denn es scheitere jedenfalls an der „Erforderlichkeit“ einer Datennutzung, wie sie § 28 Abs. 2 BDSG voraussetze. Erforderlichkeit sei hierbei nicht mit einer zwingenden Notwendigkeit oder einer bestmöglicher Effizienz gleichzusetzen, jedoch müsse bei vernünftiger Betrachtung der Nutzer auf das fragliche Mittel angewiesen sein.
Das Gericht bejaht die Erforderlichkeit der Nutzung der Adressdaten der Betroffenen und der Information „ehemaliger eigener Kunde“, da sonst unnötige Werbung an eigene Kunden verschickt werden könnte. Die Rückgewinnung ehemaliger Kunden sei daher ein berechtigtes Interesse.
Es zog jedoch die Grenze bei der Nutzung der Information „jetziger Kunde der Klägerinnen“. Dies mache zwar die Werbung wirksamer, darauf sei die Beklagte aber nicht angewiesen und die Datennutzung im Ergebnis daher nicht erforderlich.
Diese, bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgte und hier vom Gericht bestätigte Auslegung der „berechtigten Interessen“ stieß auf Kritik in der Literatur (Haas/Stallberg MMR 2009, 846 ff.). Die Frage der Effizienz hätte der Senat nicht bereits im Rahmen der Erforderlichkeit prüfen müssen, sondern betreffe die Abwägung der Interessen der Datenverwender und der betroffenen Kunden.
Das OLG verkenne weiterhin, dass das Datenschutzrecht nicht der möglichst effizienten Gestaltung von Werbemaßnahmen eine Grenze ziehen möchte, sondern es allein darauf ankomme, ob die konkrete Verwendung der Kundendaten im berechtigten Interesse der Antragsgegnerin erfolge und dieser Nutzung keine schutzwürdigen Interessen der Kunden entgegenstünden.
Vielmehr werde durch ein Werbeschreiben, das unter Nutzung des Datums „Neuer Anbieter des Kunden” den ehemaligen Kunden maßgeschneidert und damit möglichst schonend anspricht, der jeweils angesprochene ehemalige Kunde ersichtlich weniger beeinträchtigt, als dies durch eine weniger zielgerichtete Maßnahme geschehen würde.
Der 6. Senat ging auf diese Kritik ein und bekräftigte seine Auslegung aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren. Zunächst einmal dürften nicht alle Einzelheiten der Werbeaktion zu „berechtigten Interessen“ erhoben werden. Täte man dies, dann erübrige sich die Erforderlichkeitsprüfung, denn es sei stets unabdingbar, die Daten zu nutzen, anhand derer das Interesse definiert worden ist.
Anderenfalls stünde man zudem im Widerspruch zu § 28 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BDSG (§ 28 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 lit. a) a.F. BDSG). Dort sei die Verwendung kombinierter Merkmale zu Werbezwecken verboten, da sie eine zu starke Individualisierung zuließen.
Das Gericht stellte fest, dass auch hier die Datenschutznovellierung von 2009 nicht zu einem anderen Ergebnis führe. Schon der amtlichen Begründung nach sollten die Gesetzesänderungen zu einer Verschärfung von § 28 BDSG führen. Zwar stünde im Wortlaut § 28 Abs. 3 BDSG nun nicht mehr „Angabe“, sondern „Angaben“. Dies bedeute jedoch nicht, dass man nunmehr eine Personengruppe über mehr als ein Merkmal definieren dürfe. Vielmehr beziehe sich der Plural „Angaben“ auf die beiden Möglichkeiten der Zugehörigkeit, nämlich bejahend oder verneinend.
Die Beklagte habe die Merkmale „ehemaliger eigener Kunde“ und „aktueller Kunde der Konkurrenz“ daher unzulässig miteinander kombiniert.
Auch entgegenstehende schutzwürdige Interessen
Das OLG ging auch auf die Kritik der vermeintlich nicht entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen der Kunden ein. Die betroffenen Adressaten der individualisierten Werbebriefe hätten durchaus entgegenstehende schutzwürdige Interessen. Derartige Schreiben seien geeignet, ihnen ein Gefühl der informationellen Unterlegenheit zu vermitteln, denn sie hätten das Vertragsverhältnis damals bewusst beendet und die fraglichen Informationen dem Werbenden gar nicht zur Verfügung gestellt.
Die Kundenrückgewinnungsaktion der Beklagten waren nach alldem mangels Erforderlichkeit der Nutzung der Information „aktueller Kunde der Klägerinnen“ und entgegenstehender schutzwürdiger Interessen der Betroffenen datenschutzrechtlich und im vorliegenden Fall auch wettbewerbsrechtlich nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG unlauter.
Fazit
Die Kritiker haben dem OLG prognostiziert, kaum Anhänger für seine Rechtsprechung zu finden. Auch sei eine solche Auslegung nach der Novellierung des § 28 BDSG nicht mehr haltbar. Der 6. Senat hielt dem entgegen und verwies dabei auch auf die Kommentierung zu § 28 BDSG, der sich ein weitreichender Paradigmenwechsel nach der Novellierung nicht entnehmen lasse. Letztendlich bleiben weitere Entwicklungen abzuwarten.
Für Unternehmen der Netzwirtschaft kann diese Entscheidung jedoch nicht ohne Konsequenzen bleiben. Tatsächlich sind, wie die Autoren der Kritik einleitend hinweisen, Kundenwechsel in der Netzwirtschaft ein häufiges Phänomen. Während die Märkte in der Telekommunikation dynamisch sind und ein realer Wettbewerb besteht, sieht die Situation bei den Versorgern noch immer anders aus. Trotz wachsender Wechselbereitschaft herrscht ein so geringer Wettbewerb, dass die großen Versorger fast nach Belieben die Preise erhöhen. „Rückgewinnungsschreiben“ können hier den Wettbewerb beleben.
Die Rechtsprechung des 6. Senats kann für die Netzwirtschaft nur die Konsequenz nach sich ziehen, dass die Rechtfertigung einer Datennutzung ehemaliger Kunden über § 28 BDSG zwar möglich ist, aber keine Alternative sein kann zu einer Einwilligung, die den Anforderungen nach § 4a BDSG gerecht wird. Die inhaltliche Ausgestaltung der Einwilligungserklärung muss gewährleisten, dass Kunden auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses „im Netz“ bleiben.
Autor:
Rechtsanwalt Dr. Sebastian Kraska, externer Datenschutzbeauftragter
Diplom-Jurist Michael Stolze, LL.M. LL.M.Telefon: 089-1891 7360
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