Politik demaskiert: Wie mehr Wahlbeteiligung?
09.06.2009
Auf SPON macht man sich Gedanken, wie die Wahlbeteiligung wieder angehoben werden kann. Beeindruckend: Natürlich wird daran gedacht, Strafen für Nichtwähler einzuführen. Immerhin denkt man auch über neue Wege (Internet-Wahl) oder mehr Möglichkeiten (2–Stimmen, Direktwahl von Kommissaren oder eines Präsidenten) nach.
Am Ende aber habe ich einen Eindruck: Die Parteien denken über vieles nach, nur nicht über ihre eigene Rolle. Ganz im Gegenteil, die SPD schreit trotzig “Jetzt erst recht” und zeigt damit jedem, wo das Problem wirklich liegt.
Mein Vorschlag: Wenn die Parteien nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre fehlenden Profile sowie die Beratungsresistenz ihrer Vertreter als Problem zu erkennen, dann können wir die Wahlen ja mit einem Gewinnspiel kombinieren. Praktisch wäre es doch, auf 1000 Wähler einen Opel zu verlosen, da tun wir doch direkt was für die Konjunktur. Dümmer als die obigen Vorschläge aus der Politik ist das jedenfalls nicht.
Wem das zu blöd ist, der sollte sich fragen, warum die Parteien es nicht schaffen, die Menschen an die Wahlurne zu holen. Nicht auch, sondern gerade wenn die Europawahl in diesem Land angeblich eine “Abrechnung auf nationaler Ebene” war: Dann blüht uns bei der Bundestagswahl nämlich ähnliches.
Nebenbei zeigt mancheiner wieder sein wahres Gesicht:
Der SPD-Bundestagsabgeordneten Jörn Thießen will die Menschen sogar zum Wählen verpflichten. “Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen, das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Wer nicht zu einer Wahl geht, sollte 50 Euro Strafe zahlen. Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht”
Man ist sicherlich kein Demokrat, nur weil man wählt. Und jemand der nur wählt, weil er sonst eine Strafe zahlen muss, ist erst recht kein Demokrat. Und ein Bundestagsabgeordneter, der öffentlich erklärt, es gibt einen Zwang im Bundestag abzustimmen und das auch noch mit Demokratie verwechselt, demaskiert sich nicht nur selbst, sondern kostet die SPD evt. die letzten Prozentpunkte zu den Grünen.
feli
die ticken doch nicht mehr richtig... Eine Wahlpflicht einzuführen, wie lächerlich. Dann könnte man die Parteien ja auch gleich verpflichten ihre Wahlversprechen einzuhalten.
Btw: falls ich bei der nächsten Wahl einen Opel gewinnen sollte, hätte jmd Interesse?;)
Anonymous
Damit hast Du den Nagel schon auf den Kopf getroffen. Es sind eben nicht Vertreter des Volkes sondern ihrer Partei.
Wobei ich der Idee einer - schwach - sanktionierten Wahlpflicht nicht grade abgeneigt bin. Ungültig machen kann man die Stimme ja trotzdem.
Vielleicht sollte man auch das unglückliche System mal durchbrechen, aufgrund dessen die Politik von Parteien und nicht den Volksvertretern bestimmt wird. Also nicht nur immer die Phrasen wiederholen, dass das Spannungsverhältnis von Art. 21 GG und Art. 38 GG zu Gunsten von Art. 38 GG aufgelöst werden würde, sondern dies auch tun.
Ja, das Wortspiel war auch kein Zufall ;)
Ich bin dagegen, weil man so eine ehrliche Aussage hat: Der Wähler hat jetzt die Option zu wählen (dabei auch ungültig) und gar nicht hin zu gehen. Durch einen ungültigen Wahlzettel kann er somit eine andere Meinung abgeben als mit dem Nicht-Wählen. Eine Pflicht zu wählen würde diese Option (die ja auch eine Aussage ist und an der sich die Parteien offenbar mal langsam stören) nur nehmen.
Malte S.
Ups, hatte ich doch glatt meinen Namen vergessen. Anonymous bin jedenfalls ich.
Die Argumente gegen eine Wahlpflicht sind durchaus kräftig und überzeugen mich im Grunde auch. Nur habe ich mittlerweile das Gefühl, dass der Nichtwähler viel weniger aufgrund einer Wahlentscheidung nicht wählen geht, sondern vielmehr, weil er kein Interesse hat.
Das ist zwar ebenfalls ein politisch beachtlicher Grund, aber aus meiner Sicht eben keine Betätigung des Wählerwillens.
Die Argumente gegen eine Wahlpflicht sind jedoch auch nicht zu verachten.
Vielleicht könnte eine kleine Gesetzesänderung die Parteien zu mehr Öffentlichkeitsarbeit anspornen.
Art. 79 II GG wird ergänzt durch folgenden Satz 2:
"Der Bundestag muss zudem von mindestens 2/3 der Wähler gewählt worden sein."
Eine öffentlichkeitsmäßig inkompetente Politik verliert damit zumindest die Möglichkeit, am GG herumzuspielen.
Das ist klar, aber gerade weil man damit (hochtheoretisch, schon klar) zwischen "desinteressiert" und "ich mag euch alle nicht" abstufen kann finde ich diese Möglichkeit gut
Oh jeh, ich sehe uns schon X-Mal wählen und dann wird eine Notverordnung erlassen LOL
Malte S.
Um eine Notverordnung zur GG-Änderung zu Verabschieden bedarf der BT doch auch einer Ermächtigung im GG. Und die hat er ja gerade nicht.
Ich finde die Idee - vielleicht nicht in dieser Strenge - interessant, den Gesetzgeber zu sanktionieren, wenn er es nicht schafft, das Volk am politischen Leben zu interessieren oder zu beteiligen.
Art 39 I GG: Der alte BTag bleibt im Amt bis der neue Zusammentritt. Also kann der bisherige so eine Notverordnung mit entsprechender GG-Änderung für die neuen Wahlen beschliessen.
zf.8
In Griechenland lag die Wahlbeteiligung bei der Europaparlamentswahl 2004 trotz Wahlpflicht nur bei 63 Prozent, während sie dieses Jahr voraussichtlich irgendwo um 50 Prozent kreist.
Und in Griechenland wird die Wahlpflicht nicht nur durch Geldstrafen als Zwangsmittel durchgesetzt sondern auch dadurch, dass man als häufiger Nichtwähler keinen Reisepass erteilt bekommt.
Ich weiß, dass es in Italien auch eine wahlpflicht geben muss, kenne aber keine Hintergründe, insbesondere keine Zahlen - während ich da unten war gab es aber einige, denen das Thema herzlich egal war
Klaus Obernberg
Die Wahlbeteiligung wird gesteigert durch Initiativen
wie z.B Google: "Demokratie im Ohr". Amtliche Wahlaufrufe nützen
nicht viel.
Malte S.
Wie sollte denn der alte BT eine solche Notverordnung erlassen, wenn er selbst schon keine 2/3 Mehrheit hat um die GG-Änderung zu bewirken?
Eine solche Überlegung funktioniert natürlich nur, wenn der einführende BT nicht zugleich Löcher in das System ballert. Ist ja bisher auch mehr eine grundsätzliche Überlegung zur demokratischen Legitimation, als eine vollendete Lösung.
Ich bin da ganz pessimist: Notfalls findet man die schnell...
Nur Gedankenspielerei, sollte ja nie der Fall sein
corax
Darf ich hier mal eine ganz andere Frage stellen die mich seit Sonntag beschäftigt? Und zwar bin ich auf der Suche nach Wahlergebnissen darauf gestoßen, das man ja per Internet praktisch die Ergebnisse jedes einzelnen Wahllokals abrufen kann. (Zumindest in NRW) Wenn jetzt von 100 Wählern 30 CDU 30 SPD 20 FDP und 20 Grüne wählen ist das ja wurscht, aber wenn dann noch so kleine Parteien wie die Piraten oder DVU antreten dann erhalten die teilweise zwischen 1 und 4 Stimmen. Wenn jetzt ein Ehepaar bespricht die Partei XY zu wählen und die erhält aber nur 1 Stimme, dann wars das ja mit dem Wahlgeheimnis. ich glaub Cem Basman twitterte das auf Neuwerk? von 25 Wahlberechtigten kein einziger wählen ging. Ist ja auch ne wesentliche Information.
Müssten die Wahlbezirke nicht so groß sein, dass auch kleinere Parteien höchstwahrscheinlich über 10 Stimmen bekommen damit das Wahlgeheimnis einigermaßen gewahrt bleibt bzw die Auszählungsergebnisse etwas weiter zusammengefasst werden vor Veröffentlichung damit nicht in einer kleinen Gemeinde oder einem kleinen Wahlbezirk "ausgeknobelt/rückgerechnet/kombiniert" werden kann wer was gewählt hat?
Sonst kann man sich die Wahlkabinen nämlich auch schenken.
Naja, das ist dann die Differenz zwischen Theorie und Praxis. Das Problem: Wenn Du schon an die Praxis denkst, musst du umfänglich alles bedenken.
Was mir auf Anhieb einfällt: Wenn man in einem dünn-besiedelten Landstrich (Extrembeispiel: 1 Einwohner pro Quadratkilometer) den Wahlkreis so gestaltet, dass möglichst viele Wähler erfasst werden, müssten viele Wähler aber auch sehr weit fahren um zum Wahlbüro zu kommen - dann schaffst du eine künstliche Hürde bei der Ausübung des Wahlrechts.
Nun magst du sagen: Dann schaffen wir mehrere Wahlbüros für einen Wahlkreis. Dann aber brauchst du trotzdem entsprechend viele Wahlhelfer in jedem Büro, die ja gerade im dünn besiedelten Landstrich ein Problem sein werden - am Ende sitzen dann genau die Leute im Wahlbüro, die dort auch wählen (Extrembeispiel).
Wie immer geht es um eine Abwägung. Und in der Praxis glauben Ehepaare ohnehin immer zu wissen, was der jeweils andere wählt ;)
LastGunman
Erst die Wahlpflicht und als nächstes entscheidet der Staat für dich, wen du wählen sollst. Bis dann sind CDU und SPD eh zu einer Partei verschmolzen...
corax
Danke schon mal für die Antwort.
Das man nicht alles "perfekt" wird lösen können ist mir klar. Die Eheleute hatte ich nur als Beispiel. Aber heutzutage ist es offenbar möglich mit wenigen Mausklicks die Wahlergebnisse aller bundesweiten Wahllokale zu erreichen und diese herunterzuladen. (War ja früher wegen der Datenmengen und Verfügbarkeit undenkbar) Mit Adressdatenbanken verknüpft kann doch jedes fähige Unternehmen über zwei, drei Wahlperioden genau das Stimmverhalten analysieren. Von absolut jedem, also nicht speziell sondern jedem gleichzeitig. Wäre nicht ein Riegel wie ich schon oben schrieb, dass die Stimmen wie zwar bisher gezählt, aber in einem Oberzentrum gesammelt veröffentlicht würden? Also ein Wahlzentrum sammelt die Stimmen aus bsplsws 20 Wahllokalen und veröffentlicht diese ohne weitere Aufschlüsselung?
Wird doch von der Schufa auch verlangt, dass sie punktgenaues screening vermeidet und schon gar nicht veröffentlicht, damit ein Eigenheimbesitzer in einem "Problemviertel" nicht sofort einen Score von Null erhält obwohl er ausreichend Einkommen hat.
Grüße