Terrorismus
02.02.2009
Wenn ich durch eine Drohung jemanden dazu bringe, etwas zu tun, was er gar nicht tun will, ist das Nötigung. Eine Straftat. In Deutschland steht das im §240 StGB. Soweit nichts neues.
Wenn nun ein ganzer Staat genötigt wird, ist das – zumindest für den Volksmund – Terrorismus. Also wie soll man diese Meldung sonst interpretieren:
Der Handyhersteller Nokia hat von Finnlands Regierung Überwachungsrechte für alle E-Mails eigener Mitarbeiter verlangt und andernfalls mit dem Abzug des Unternehmens gedroht. (Anmerkung: Nokia verneint dies, siehe nur SPON) […]
Die Regierung von Ministerpräsident Matti Vanhanen habe mit Blick auf den möglicherweise drohenden Verlust von 16.000 finnischen Nokia-Arbeitsplätzen sowie Steuereinnahmen die gewünschte Gesetzesinitiative eingeleitet
Wenn man sich die aktuellen Tendenzen im keimenden Feindstrafrecht aber ansieht, muss zur Zeit eine gefährliche Erkenntnis gewonnen werden: Es gibt offensichtlich legitimen Terrorismus und solchen, der “bekämpft” werden muss.
Jedenfalls der wirtschaftlich motivierte Terrorismus, der in diesem Fall gezielt gegen Bürgerrechte geht, scheint kein Problem zu sein. Eine Tendenz, die es zu beobachten gilt.
Hinweis: Zur Erinnerung erlaube ich mir den Hinweis, dass der Begriff “Terrorismus” umstritten ist. Wer sich dafür interessiert und auf die Schnelle einen Einblick sucht, findet hier eine verständliche Arbeit. Dabei kann es kein “richtig” oder “falsch” geben, man muss selber überlegen, welchem Begriff man folgt.
Ich beispielsweise folge der Ansicht, dass Terrorismus verkürzt jegliche Verbreitung von Schrecken ist (die ausführliche “Definition” gibt es im Link auf Seite 2 von Gross/Hitzler), deswegen gibt es bei mir ja auch Begriffe wie “Sozial-Terrorismus”.
Marco
Auf die Wirtschaft draufzuhauen, ist natürlich bequem und schön mainstream, verstellt aber dei tatsächliche Problematik.
Terrorismus setzt unmittelbar physische Gewalt ein oder droht mit deren Einsatz, um seine Ziele zu erreichen. NOKIA tut dies nicht, sondern versucht seine Kumpelz in der Politik unter Druck zu setzen, um dies für sich zu tun. Dieses Unterdrucksetzen geschieht jedoch nicht durch Androhung von Gewaltmaßnahmen, sondern durch Androhung von gewaltlosen unternehmensinternen Entscheidungen. Wenn El-Kaida damit drohen würde, aus einem Staat abzuziehen, wenn der nicht täte, was El-Kaida wolle, wäre das schließlich auch kein Terrorismus, sondern ziemlich witzig.
Gewalt ist natürlich trotzdem im Spiel, nämlich die Gewalt des Staates. Die existiert aber auch ohne NOKIA.
Wie gesagt, auf die Wirtschaft draufhauen ist schon konform, das machen schließlich alle von Lafontaine bis Merkel, versperrt aber den Blick auf die Tatsachen. Gerade von einem Student der Rechtswissenschaften sollte man eigentlich mehr erwarten können, als platte Parolen. Aber da zeigt sich mal wieder, was das staatliche Bildungssystem so produziert.
"Auf die Wirtschaft draufzuhauen"
Ich zeige auf einen Einzelfall und ein Einzelunternehmen. Nicht auf "die Wirtschaft".
"Aber da zeigt sich mal wieder, was das staatliche Bildungssystem so produziert."
Wo wir beim Thema platte Parolen sind. Netter Versuch, aber voll daneben.
Marco
Jens,
schön, dass Du auf die wichtigen Punkte in meinem Kommentar gar nicht eingegangen bist.
Also wenn du es wirklich ernst meinst: Ich brauche auf deine Punkte nicht einzugehen, da ich diesen Satz (auf dem dein ganzer Text aufbaut) schon ablehne:
"Terrorismus setzt unmittelbar physische Gewalt ein oder droht mit deren Einsatz"
Aber: Hier muss man nicht streiten, da der Terrorismus-Begriff bestenfalls umstritten ist. Das heißt, wenn du sagst, für dich ist nur das Terrorismus, hast du den dargelegten Standpunkt.
Wenn man - wie ich - Terrorismus als Kommunikationsstrategie versteht bei der Gewalt nur ein möglicher Teil ist (eben Mittel zum Zweck und nicht alleiniges), sieht es man es nicht nur anders, sondern auch weiter.
Die Diskussion dazu möchte ich ungerne auf der Basis "wer hat Recht" führen, denn es geht hier um einen normativen Begriff, den man durchaus unterschiedlich sehen kann. Da zudem genügend Bücher zu dem Thema existieren, in dem man den Streitstand nachlesen kann, müssen wir das hier nicht durchspielen.
Selbst wenn ich dem aber folgen würde, hätte ich Probleme damit, dass du dich auf "Staat/Nokia" konzentrierst - das verfälscht die Situation, da du die 16k Arbeiter außen vor lässt, die in jedem Fall verlieren: Entweder der Job ist weg oder mit Einschnitten verbunden. Das aber nur am Rande, da ich bis hier ja nicht mal komme.
Für mich ist es OK, wenn du sagst, dass du es anders sieht. Nicht OK ist der platte Angriff, ich bin blöd, weil ich aus dem staatlichen Bildungssystem stamme. Wenn Du ernsthaft mit mir diskutieren möchtest, also erwartest, dass ich mir die Mühe mache für dich Zeit in Text zu investieren, behandle mich vernünftig und respektiere andere Meinungen ohne zu beleidigen. Wie du siehst, kann ich dir das entgegenbringen - obwohl auf der Hand liegt, dass wir herzlich wenig Standpunkte teilen (ja, ich kenne deinen Blog und die Einträge dort).
Ein Mensch
Bei der Kritik bleibt leider aussen vor, ob das Gesetz den dreistufigen Test übersteht: notwendig, geeignet, verhältnismässig. Ich denke, dieses Gesetz fiele dreimal durch.
Ich will nur zu "geeignet" sagen, dass mir gerade diverse Möglichkeiten einfallen, Firmengeheimnisse mit oder ohne Überwachung firmeninterner Mail aus dem Unternehmen unbemerkt herauszubekommen.
Malte S.
Die Geeignetheit setzt lediglich die Förderung des Zwecks voraus. Diese muss zwar merkbar, jedoch nicht sonderlich intensiv sein. Da eine Prüfung des Mailverkehrs das Risiko eines Geheimnisverrats zumindest reduziert ist die Geeignetheit mE nicht das Problem. Erforderlichkeit wird schon kritischer, dürfte aber uU auch anzunehmen sein. Scheitern würde es mE letztlich an der Verhältnismäßigkeit.
@Jens: Ich mag diese Gegenüberstellung von legalem und "bösem" Terrorismus :)
Martin
Also, ich für mich habe Terrorismus als massives Erzeugen von Angst definiert.
Damit fällt die Nokia-Drohung voll in mein Verständnis von Wirtschafts-Terrorismus.
Wie auch immer, daß Politiker solchen Drohgebärden nichts entgegenzusetzen haben (im besten Falle Hilflosigkeit) sieht man auch immer wieder in Deutschland. So kommt es, daß auch hier ständig illegale Gesetze beschlossen werden, die keines der 3 Kriterien erfüllen.