Wer nichts zu verbergen hat…
04.06.2008
Der größte Dummsinn, den ich leider immer häufiger auch unter Bürgern feststellen muss, ist der Ausspruch “Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten” – die erweiterte Fassung von “Ich habe nichts zu verbergen”. Hier meine Gedanken zu diesem Konstrukt, vielleicht hilft es dem ein oder anderen, nochmals darüber nachzudenken.
Hinweis: Dies ist ein älterer Artikel aus meinem früheren Blog, den ich hierhin kopiert habe um ihn zu erhalten. Beachten Sie dazu bitte auch diese Beiträge von mir:
- Gefunden: Ich habe nichts zu verbergen (Auseinandersetzung mit einem Eintrag)
- PGP/GPG und die Ermittlungsbehörden
Weiterhin impliziert dieser Halb-Satz, dass derjenige, der etwas verbergen will, sich schonmal zu rechtfertigen hat. Damit wird jeder, der sich auf die ihm zustehenden Recht beruft, automatisch verdächtig. Es kann aber nicht angehen, dass sich derjenige, der Grundrechte unserer Verfassung verteidigt oder sich darauf beruft, sich zu verteidigen hat.
…der hat nichts zu befürchten
Der zweite Halbsatz ist barer Unsinn – hier brauche ich nicht einmal zu argumentieren, denn wer einmal auf die zwei Halbsätze sieht, der muss sich automatisch eine Frage stellen: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Warum sollte denn der, der möglichst viel von seinen Daten preis gibt, nichts zu befürchten haben? Im Umkehrschluss dürfte ja derjenige, der einfach möglichst viel von sich preis gibt, gar nicht mehr im Mittelpunkt von Ermittlungen stehen. Doch stellt sich genaugenommen die Frage, warum bei Ermittlungen “ins Blaue hinein” ausgerechnet derjenige im Vorteil sein soll, der faktisch vollständig erfasst ist (gegenüber jemandem, von dem gar nichts erfasst ist). Schwachsinn.
Wieder wird das Gefährliche erst deutlich, wenn man die verborgene Negativ-Aussage herausstellt: Wer was zu verbergen hat, hat also etwas zu befürchten. Alles klar: Wer sich auf seine Grundrechte beruft, der hat also was zu befürchten. Danke, klarer geht es nicht.
Provokante Blödsinns-Fragen
Wenn man sagt “Wer nichts zu verbergen hat…”, muss man sich eins im Klaren sein: Wer daran glaubt, der muss es konsequent auch auf den Staat anwenden, andernfalls wäre die Aussage nicht richtig, und somit nicht anwendbar. Daher: Wenn der Staat nichts zu verbergen hat, hat er auch nichts zu befürchten. Ich frage also nach der Offenlegung der Dienstakten von Polizeibeamten, nach der Offenlegung aller Geschäfte der Bundestagsabgeordneten, nach der Offenlegung der Beziehungen aller Bundestagsabgeordneten…
Über Freiheit und Terrorismus
Den ganzen Unsinn, und die Gefahr für unsere eigene Freiheit, erkennt man erst vollständig, wenn man sich mit der Natur des Terrorismus beschäftigt. Im Prinzip ist jede Form von Freiheit eine Gefahr durch Terrorismus, jede Möglichkeit der unkontrollierten Ausübung eines Rechts beinhaltet die Gefahr, dass jemand dies Missbraucht um eine Gefahr zu schaffen. Wer also fordert, die Gefahr von Terrorismus zu senken, muss automatisch an die Freiheiten unserer Gesellschaft ran.
Dabei spielt es keine Rolle, ob durch die Einschränkung oder gar Abschaffung einer Freiheit in diesem Bereich wirklich die Gefahr des Missbrauchs (also des Terrorismus) gesenkt wird: Letztendlich wird das Gefühl, dass dadurch die Gefahr sinkt, vorhanden sein. Und wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist es wohl alleine dieses Gefühl das zählt.
Wer also ein Gefühl von Sicherheit erzeugen will, muss an die Freiheiten ran: Entweder indem sie abgeschafft, ausgehöhlt oder wenigstens kontrolliert werden. Ein Abschaffen kommt dank der Struktur unseres Grundgesetzes nicht in Frage, ebenso wenig ein Aushöhlen (dank der Wesentsgehaltsgarantie des BVerfG). Es bleibt das Kontrollieren, genau das versucht zur Zeit die Regierung. Getreu dem Motto: Ihr behaltet eure Freiheiten, wir kontrollieren nur bei jeder Gelegenheit, ob ihr sie bestimmungsgemäß gebraucht.
Das Ergebnis ist letztendlich, dass man zwar Rechte hat, sich aber immer rechtfertigen muss, warum man sie nutzen will. Man braucht plötzlich Gründe, muss sich erklären. Einfachstes Beispiel: man hat zwar das Recht sich frei zu bewegen, wer aber um X Uhr am Platz Z angetroffen wird, muss einen Grund nennen können, warum er genau dann dort ist: Sonst ist man verdächtig. Ähnlich ist es mit der Überwachung aller Verbindungsdaten – jeder Kontakt kann zur Falle werden, gerade in Zeiten, in denen man auch kurzzeitige Kontakte zu evt. dubiosen Menschen erhalten kann, man denke nur an Plagiatsverkäufe bei Online-Auktionen. Fingerabdrücke am falschen Ort können zur Falle werden. Das Ergebnis: Bei jeder Gelegenheit denkt man darüber nach, was man gerade tut, warum und welche Folgen es haben könnte. Die vorhandene Freiheit wird faktisch ausgehöhlt. Man braucht plötzlich Gründe etwas zu tun, das warum wird öffentlich – man wird gefragt, ob man was zu verbergen hat.
Keine Freiheit ist nicht gleich Sicherheit
Die Argumentation würde nur Sinn machen, wenn man am Ende zu dem Schluss kommt, dass man wirklich Sicherheit erhält, dadurch dass man seine Freiheit opfert. Zum Ausdruck kommt das im Satz “Lieber sehe ich meinen Namen in einer Datenbank als in einer Todesanzeige”. Das erste was mir dazu einfällt: Der Name steht so oder so irgendwann in einer Todesanzeige, da wird die Datenbank nciht helfen. Zum anderen wird durch die Sammelwut nicht vor Anschlägen geschützt, ich verstehe nichtmal den Gedankengang, der dahinter stehen soll. Der Verweis auf Spanien etwa ist vollkommer Schwachsinn: Das Sammeln der Verbindungsdaten dort konnte ja gerade die Anschläge nicht verhindern. Und ob sie wirklich ausschlaggebend für die nachherige Ermittlungen waren, sei dahin gestellt.
Gute und böse Absichten
Abschließend möchte ich eines klar stellen: Ich unterstelle niemanden, auch nicht dem Bundesinnenminister, dass er einen Überwachungsstaat oder die Bürger unterdrücken will. Darum geht es nicht, ebenso wenig darum, dass sicherlich gute und verständliche Absichten dahinter stehen. Doch muss man sich im Klaren sein, dass das System als solches – einmal etabliert- jederzeit zu anderen Zwecken genutzt werden kann. Es mag 5 Jahre lang “nur” 1-2 Online-Durchsuchungen pro Jahr geben, aber wer schützt uns als Gesellschaft davor, dass es in 6 Jahren nicht 1000 pro Jahr sind? Gute Gründe gibt es genug: Zuerst Terrorismus, dann Kinderpornographie, dann Steuerhinterziehung, danach die Planung und Vorbereitung von Raubüberfällen und dann?
Das Gefährliche an den aktuellen Entwicklungen ist zum einen, dass sie gerade gute Gründe vorschieben und man eben nicht nur mit oberflächlichem Nachdenken mal eben schnell das gesamte Problem überschaut. Zum anderen ist die Gefahr aber auch, dass wir festlegen, wie sich unser Leben in den nächsten Jahren entwickeln wird. Es wird wahrscheinlich Jahre dauern, bis die beschlossenen Maßnahmen sich endgültig auf unser Leben auswirken.